Summary: | Rasante Modernisierungsprozesse haben das im Transhimalaya gelegene Ladakh zu einem paradigmatischen Beispiel kultureller Identitätsvergewisserung gemacht. Die Vermarktung der eigenen Exotik, die Entwicklung einer touristischen Infrastruktur und eine individualisierte ökonomische Orientierung haben zur Auflösung dessen geführt, was noch bis in die 1970er Jahre hinein als fraglose kulturelle Gemeinsamkeit der Region im Norden Indiens gelten konnte. Das geteilte kulturelle Erbe der Ladakhi wird damit zum Gegenstand identitätspolitischer Interpretations- und Aushandlungsprozesse. Die vorliegende Studie untersucht die diskursiven Strategien, mit denen lokale Religionsgemeinschaften sowie deren Privatschulen, aber auch lokale NGOs um eine hegemoniale Position ringen. Deren politische und pädagogische Bemühungen konzentrieren sich auf einen Ausgleich von Konfliktpotentialen im Verhältnis von sozialer Einheit und religiöser Partikularität, von Individualisierung und Gemeinschaftsvorstellungen sowie von Tradition und Zukunftsorientierung. Aber im Streit um das Gemeinsame zeigen sich unterschiedliche Interessenkonstellationen, die als solche genau jenen Grund in Frage stellen, auf den sie sich berufen: die gemeinsame Identität. Die Bestimmungsversuche eines geteilten kulturellen Erbes tragen so selbst zu dessen befürchtetem Verlust bei und verweisen auf ein Problem moderner Gesellschaften: auf die Frage einer sozialen Einheit, die sich nicht mehr auf eine ›substantielle‹ und unhinterfragbare Grundlage stützen kann.
|